Lassen wir uns vom Algorithmus krank machen? Von Sabine Weiskopf

Lassen wir uns vom Algorithmus krank machen
Foto: Jenni Kurz

Female Business am Limit: Wie Social Media Frauen in die Erschöpfung treibt

Nur noch schnell eine Instagram Story. Samstag auf dem Beifahrersitz, wir fahren zum Wochenmarkt. Ich sitze mit gebeugtem Kopf und tippe rasend schnell. Die zehn Minuten Bundesstraße muss ich nutzen und den Launch für mein neuestes Angebot vorantreiben. Mein Mann fährt, und wenn ich zwischendurch kurz den Blick hebe, knirschen die Wirbel in meinem Nacken. Die schöne Landschaft des fränkischen Jura? Eine Kulisse, die unbeachtet an mir vorbeizieht.

So und ähnlich waren lang meine Samstage.

Bis ich begriff: Ich habe kein Wochenende mehr.

Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin nicht mehr bei mir.

Ich folge nur noch dem Druck. Druck in mir. Subtil. Leise. Gefährlich, weil er selbst gemacht ist und ich mir einrede, dass er dazugehört, wenn ich erfolgreich sein will. Ich folge einem digitalen Guru, dem Millionen verfallen sind. Ich folge dem Algorithmus.

Der neue Druck: sichtbar sein | funktionieren | liefern

Die sozialen Medien als Allheilmittel im Marketing und große Verheißung für Sichtbarkeit. So heißt es bis heute in den entsprechenden Fortbildungen. Wer regelmäßig postet, wächst. Wer omnipräsent ist, gewinnt. Wer sich in allen Facetten zeigt, gehört dazu und räumt die ganz großen Umsätze ab.

Die aktuelle Realität sieht anders aus. Ich höre es in vielen Gesprächen. Meine Kundinnen landen oft ratlos, manchmal verzweifelt in mein Feld. Die Frauen sind müde. Sie schlafen schlecht. Sie kommen trotz Entspannungstechniken nicht mehr wirklich runter. Sie fühlen sich permanent überfordert. Es braucht nicht viel, um die kürzer werdende Lunte zu zünden. Wüten oder weinen sind dann die Reaktion. Und dass die Umsätze steigen würden, davon kann keine berichten. Im Gegenteil.

Eine aktuelle Untersuchung der University of Toronto mit mehr als 40 000 Erwachsenen zeigt, dass Reizbarkeit und Stresssymptome mit der Intensität der Nutzung von Social Media steigen. Es geht hier nicht um Zeitverlust oder Ablenkung. Es geht um unser Nervensystem und seinen Umgang mit ständigen Reizen.

Mir geht es darum, daß viele Unternehmerinnen überzeugt sind, sie müssten das mitmachen.

Ich kenne die Symptome gut. Die Instagram App öffnete ich – unbewusst – mit einem Gefühl von in die Enge getrieben sein. Mit Herzklopfen, nicht aus Angst, sondern in Hektik. Die Schultern hochgezogen. Der Nacken verhärtet. Der Brustkorb dicht. Mein Körper reagierte schneller, als ich begreifen konnte. Dauerhafte Anspannung wurde zum einzig verfügbaren Normal. Mein Unternehmen lief stabil sechsstellig, aber mein ganzes Sein als Frau war innerlich in höchster Alarmbereitschaft.

Der Social Media Segen war zum Fluch geworden.

Und ich hätte es fast nicht erkannt.

Wenn Sichtbarkeit zur Selbstoptimierungsfalle wird

Wichtig zu verstehen: Dieser Druck ist nicht greifbar und nicht sichtbar. Nirgendwo steht geschrieben, dass wir uns ständig mit unserem Business öffentlich zeigen müssen. Trotzdem rennen und hetzen viele Frauen 24 | 7, selbst wenn die Augen schon brennen. Sie teilen Privates, um nahbar zu sein. Sie erklären ihr Angebot, um verständlich zu sein. Sie zeigen sich happy clappy, um glaubwürdig zu sein.

Ein Tag ohne?

Das wäre zu riskant.

Das nennen wir dann ‚Selbstoptimierung‘. Weil es uns den Eindruck vermittelt, wir würden besser werden in dem, was wir tun, und persönlich wachsen über unsere eigenen Grenzen hinaus. Der Mechanismus ist so wirksam wie fatal, denn in Wahrheit zerstören wir alle gesunden Grenzen und können so nicht mehr wahrnehmen, wo Schluss sein muss. Wo der Körper intensiv signalisiert: Zeit für Regeneration. Wo Menschenverstand weißt: Das ist unmenschlich.

Das ‚social‘ in den Social Media. Es ist längst tot.

Was im ursprünglichen, lateinischen Wortsinn von Verbindung und Gefährten spricht, ist verkommen zu einer grellen Litfaßsäule. Jeder kämpft für sich allein. Immer noch lauter, noch schneller, noch mehr mehr mehr. Damit wir uns durchsetzen. Damit wir gesehen werden. Damit wir gebucht werden. Weißes Rauschen, in dem jede Individualität verschwindet und damit auch die eine, die wichtigste Frage: Will ich das?

Körper = Wahrheit

Es war keine Strategie, die alles geändert hat für mich. Auch kein mindset shift und kein Coaching. Es war ein Moment absoluter und tiefer Aufrichtigkeit, den ich nicht kommen sah.

Wochenmarkt am Samstag. Beim Einsteigen ins Auto das Handy schon gezückt mit einem Plan im Kopf, was ich alles erledigen kann in den zehn Minuten. Den Türgriff noch in der Hand kamen mir die Tränen. Ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich WILL das nicht mehr. Nicht so.

Ich steckte das Handy weg und schaute die gesamte Strecke in die Landschaft. Morgensonne und leichter Nebel auf den Feldern. Der Bussard auf einem Pfosten direkt am Straßenrand. Die Schafherde im Wiesengrund um das Schloss. Mein ganzer Körper weich.

Das ist es, was ich will.

Ich wusste: Nur ich kann es ändern.

Ich habe also zügig sämtliche Social Media Apps von meinem Startbildschirm entfernt, die meisten sogar gelöscht. Mein Team übernimmt seit geraumer Zeit bis auf wenige Ausnahmen die Veröffentlichungen, damit ich gar nicht erst in Versuchung komme. Das ist ein Reflex geworden über die Jahre, der abtrainiert sein will. Ich bin drin, wenn ich drin sein will. Mit festen Zeiten und bewusst. Der Effekt: Ich bin so gut wie überhaupt nicht mehr drin.

Damit kam eine Freiheit zurück in mein Leben, von der ich nicht wusste, daß ich sie verkauft hatte.

Das Beste: Wenn ich ein Mal in der Woche bei meinem Enkel bin, dann bleibt das Handy heute überwiegend in der Tasche. Das war nicht immer so. Er sieht mit seinen drei Jahren jetzt ein anderes Vorbild, und das erfüllt mich tief.

Der Gegenentwurf: Räume, in denen Menschen wieder atmen

Räume, in denen Menschen wieder atmen
Foto: Jenni Kurz

Rückzugsmöglichkeiten, die nicht mit einem glamourösen und Effizienz versprechenden Retreat Titel oder Fünf-Sterne-Wellness aufwarten können, wirken vielleicht unspektakulär im Vergleich zur glitzernden online Welt. Doch genau darauf setze ich in meiner Arbeit heute ganz absichtlich. Ein warmer Kachelofen. Unerforschte Pfade im KeltenWald vor meinem Haus. Mein uralter Küchentisch. Darin wohnt unbändige, ruhige Kraft.

Meine Kundinnen landen meistens noch mit dem Wirbel ihres Alltags. Sie springen aufgeregt von einem Gedanken zum nächsten, atmen flach, zeigen Anspannung im Körper, die Augen fliegend, die brennenden Themen an der Oberfläche. Sobald der Wald sie nimmt, oft schon nach wenigen Minuten, ist alles anders. Der Blick wird weit und weich. Der Atem wird tief und langsam. Schultern und Nacken lassen los. Die Themen schweigen. Ohne Anstrengung und Anleitung. Es geschieht einfach.

Solche Räume sind kein Luxus oder nice to have. Sie sind lebensnotwendig geworden. Sie tragen uns nach Hause zur Essenz der eigenen Wahrnehmung. Dorthin, wo wir die selbst geschaffenen Illusionen mühelos enttarnen und wieder unserer eigenen Führung folgen. Das ist in virtuellen Räumen in dieser Tiefe und Intensität nicht möglich. Deshalb mache ich analog und offline zum Kern meiner Arbeit.

Meine Retreats – kleine, handverlesene Gruppen, Sofa am Feuer, Gespräche ohne jede Ablenkung, Stille – erzeugen nachhaltig eine ganz bestimmte Resonanz, die in vielen Frauennetzwerken adressiert und in kostspieligen Masterminds verkauft wird als ‚sisterhood‘. Das Digitale bleibt hier jedoch an der Oberfläche. Schwesternschaft braucht unmittelbare Begegnung mit allen Sinnen. Dann hat sie Tiefe. Dann hält sie alles. Dann ist sie auch in schwierigen Zeiten stark.

Ich sage: Wir müssen uns wieder leibhaftig auf Erden bewegen. Ortswechsel. Frequenzwechsel. Wir müssen unsere Füße auf Erdboden setzen und laufen. Atmen. Still sein. Spüren. Das beruhigt uns UND die Erde.

Ich stelle dieses Feld bewusst der rasanten und reizintensiven online Welt als Gegenpol zur Seite. Der Erfolg bestätigt, Frauen aus dem gesamten DACH Raum machen sich auf den Weg. Nicht für einen Ablauf, ein Konzept, ein Ergebnis. Für den tiefen und weiten Raum, der sie hier empfängt und einfach sein lässt.

Was wir im Dauerrauschen verlieren

Eine Frau, die nicht zur Ruhe kommt, verliert so viel mehr als ihre Kraft. Sie verliert ihr natürliches, weibliches Vertrauen in sich selbst und damit ihre Entscheidungssicherheit. Angebote, Preise, Positionierung, Strategien, Umsätze und auch Beziehungen leiden, wenn ein überreiztes Nervensystem Grundlage für Entscheidungen ist. Dauerhaft stimuliert verliert das gesamte Leben Rhythmus und Lust. In einem Ausmaß, das kein kurzer ‚digital detox‘ wieder herstellen kann.

Was ich grad am meisten höre: ‚Ich hab eigentlich alles richtig gemacht, und ich bin SO müde.‘ Die Süddeutsche Zeitung (6.12.2025) titelt: ‚Alle sind so müde | In dieser krisengeschüttelten Zeit kämpfen viele gegen ein Gefühl der Erschöpfung. Von der Notwendigkeit, auch mal nicht zu funktionieren.‘ Ich sage das liegt nicht an einer großflächigen Krise. Es liegt auch nicht an zu vielen to dos oder den falschen Entspannungsübungen.

Als Frau permanent präsent zu sein nach außen hin, das liegt uns nicht im Blut. Wenn wir es dennoch tun, dann stirbt die naturgegebene Intelligenz, uns und unsere wahren weiblichen Bedürfnisse zu erkennen. Wir verlieren DIE Kraft, die es in meinen Augen aktuell am dringendsten braucht: Wahrhaft weibliche Führung.

Kein noch so ausgeklügelter Algorithmus ist interessiert an unserer körperlichen und emotionalen Stabilität. Frauen wissen mit ihrem Körper. Er signalisiert absolut zuverlässig und klar, wenn es zu viel wird. Dem zu folgen, das braucht heute in bisschen Mut, weil es sich gegen ein ‚Normal‘ stellt, das unnatürlich ist.

Bewusstsein vs. Verzicht

Die Sozialen Medien sind nicht grundsätzlich falsch. Bewusst eingesetzt fördern sie tatsächlich den Grundgedanken von ‚sozial‘. Ich halte sie nach wie vor für ein starkes Marketing Tool und nutze sie weiterhin. Mit Bewusstsein und auf meine eigene Art. Wir müssen nicht aussteigen. Wir müssen umkehren. Wir müssen einsteigen, wenn es dient UND nährt. In dieser Schnittmenge bleibt nicht viel Raum. Und das ist gut so.

Kürzlich war ich mit meinem Mann und einer Gruppe von zehn Menschen drei Tage am Untersberg. Ich hätte unzählige, vermutlich umsatzsteigernde Fotos und tiefe Erlebnisse der Kunden liefern können. Ich habe nichts davon öffentlich geteilt. Das hat uns alle immens gestärkt und dem gesamten Raum eine noch höhere Dimension geschenkt. Weil ich 100% bei mir war anstatt in Gedanken, wie ich das vermarkten könnte.

Digital ist unsere aktuelle Welt und die Zukunft. Digital ist in vielen Feldern hilfreich. Digital kann den eigenen, schwungvollen Rhythmus niemals ersetzen.

Wir bleiben Menschen.

Ein einziger Impuls für Dich.

Weil Du nicht noch mehr to dos brauchst:

\\ Wie könntest Du sofort einen Tropfen Ruhe in Deinen Tag bringen?

Eine Social Media App nach hinten schieben oder löschen.

Deine Zeit in den sozialen Medien im Kalender eintragen als Termin.

Das Handy in der Tasche lassen.

Den Erfolg der Kundin nicht sofort teilen.

Zehn Minuten untätig sitzen, ohne zum Handy zu greifen.

Was auch immer es ist:

Tu es jetzt.

Halte Dich dran.

Schau, was passiert.

Sabine Weiskopf ist Unternehmerin und Bewusstseinslehrerin
Foto: Jenni Kurz

Zur Person:

Sabine Weiskopf ist Unternehmerin und Bewusstseinslehrerin. Sie begleitet Frauen dabei, wirtschaftliche Klarheit mit innerer Stabilität zu verbinden. Ihr Ansatz basiert auf der Verbindung von ökonomischem Denken und energetischer Bewusstseinsarbeit. Sie ist die Stimme einer neuen Generation von Unternehmerinnen, die Erfolg nicht über Leistung, sondern über Verkörperung und innere Ausrichtung definieren. Weitere Informationen: www.sabineweiskopf.com

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Über Michael 215 Artikel
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